Urban Dancer Raphael Hillebrand

Urban Dancer Raphael Hillebrand

Link zu TV-Beitrag bis 24.10.2021 verfügbar

https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/westart/video-raphael-hillebrand-100.html

Der in Hongkong geborene Berliner Raphael Hillebrand wurde dieses Jahr als erster urbaner Tänzer mit dem Deutschen Tanzpreis geehrt. 

Die Auszeichnung sei überfällig, meint der Tänzer und Choreograf. 

Erstmals wurde bei diesem etablierten Preis die Kategorie Urban Dance berücksichtigt. Der 38-Jährige bringt einen faszinierenden Mix aus Hip Hop und Volkstanz auf die Bühne. Wir portraitierten ihn im Ballhaus Naunystrasse in Berlin. Dort wurde sein Solo „Auf meinen Schultern“ produziert.

Beitrag im WDR Fernsehen in WESTART vom 24.10.2020 
Autor: Tim Lienhard, Kamera: Sarah Krah, Schnitt: Julius Eisel, Redaktion: Regina Rohde (WDR) 

Hier das ganze Interview mit Raphael Hillebrand:

(Raphael Hillebrand): Mein Name ist Raphael Hillebrand, ich bin 38 Jahre alt, lebe in Berlin, bin Choreograf.

Meine Mutter stammt aus Berlin , mein Vater aus stammt aus Westafrika. Ich habe zwei Kinder, bin verheiratet und wurde dieses Jahr als erster urbaner Tänzer mit dem Deutschen Tanzpreis geehrt.

(Tim Lienhard): DAS IST WAS GANZ BESONDERES!

RH: Das ist was ganz Besonderes, ja das ist ein historischer Moment!

TL: WAS IST DENN DAS BESONDERE DARAN?

RH: Der Deutsch Tanzpreis war bis vor wenigen Jahren noch ein reiner Balletpreis. Ballet als Kunstform des Machterhalts , das kommt ja aus dem Feudalistischen . Da geht es darum, einen König zu preisen wie toll der ist und vielleicht zu träumen wie sein Sohn . 

Im urbanen Tanz geht es genau dagegen. 

Da geht es darum, von unten Druck gegen diese Herrschaft aufzubauen und die hoffentlich irgendwann niederzureißen.

TL: UMSO ERSTAUNLICHER, DASS DIESE HERRSCHAFT EINEN PREIS AN DIESE KRAFT VERLEIHT!

RH: Absolut, weil die langsam anfangen, nachzudenken und vielleicht merken, dass das Ideal was im Ballet verkörpert wird überhaupt nicht dem Ideal unserer Gesellschaft entspricht, was wir im Grundgesetz festgehalten haben.

Fast alle staatlich geförderten Tanzkompanie in Deutschland sind Balletkompanien, obwohl Ballet nur ein ganz kleiner Teil der Tanzlandschaft in Deutschland ist.

Die deutschen Volkstänze heute sind urbaner Tanz, das ist das was in Wohnzimmern getanzt wird, auf Schulhöfen, dementsprechend fordern wir natürlich

Wir wollen so wie in Frankreich Choreografiezentren, die auch urbanen Tanz miteinschliessen, die vielleicht auch von HipHoppern geleitet werden und nicht mehr nur einfach dieses in die Ecke gedrückt werden, Gewaltprävention, Rassismusprävention, sondern nein, wir sind Teil einer Kulturdebatte und wollen da auch mitreden.

TL: UND DU AN FORDERSTER FRONT?

RH: Jetzt gerade ist das die Rolle, die mir zufällt .

TL: SO WIE ICH DICH EINSCHÄTZE WARST DU ABER IMMER SCHON JEMAND, DER DEN MUND AUFGEMACHT HAT UND DAFÜR KÄMPFTE, DAS SICH ETWAS VERÄNDERT, RICHTIG?

RH: Ja ich glaube wir kämpfen in jedem Alter für unterschiedliche Dinge. Mit 15, 16, 17 hab ich dafür gekämpft, dass man sieht, dass ich da bin

Und dann irgendwann kommt man vielleicht an den Punkt, das man merkt, ich brauche gar nicht mehr für mich kämpfen , weil ich bin anerkannt und habe ein Standing, sondern ich möchte für die kämpfen, die vielleicht weniger Standing haben und ein Stück weit zurückgeben von dem auch, was ich an Glück und Liebe erfahren durfte.

TL: WIE KAM ES DAZU, DAS DU DIESES STANDING HAST?

RH: Ich hab ganz viel geübt

Von meinem 15. bis 21.Lebensjahr war ich siebenmal die Woche trainieren und habe ganz doll geübt

Bis ich hier blaue Flecken hatte, da blaue Flecken, das mal aufgeht , das Schienbein durch, der Finger bricht

All so die Sachen, die man da so durchgeht und sich einfach ganz viel anstrengt, obwohl man nicht weiß, ob man es schaffen wird.

TL: IST DAS NUR EIN KLISCHEE, DASS SICH HIP HOPER VON DER STRASSE AUF DIE BÜHNE VORARBEITEN?

RH: Es ist ein Klischee, das ich wundervoll erfüllt habe und das mir auch ein Stück weit zugeschustert wurde, weil von mir andere Sachen erwartet wurden, also weil man mich vielleicht nicht als Anwalt oder Arzt gehen hat , weil Lehrer mich das auch klar haben spüren lassen.

In der Hip Hop Szene war das anders, da wurde mir gezeigt, ej Du kannst das machen, wenn Du Dich anstrengst .

Es gibt einen ganz klaren Wechsel von diesem Klischee auch in der Hip Hop Szene  

Früher wurde immer davon gesprochen, Hip Hop ist

Aus der Gewalt der Gangs geboren. Heute sagen wir, nein

Hip Hop ist entstanden aus der Unterdrückung durch weiße Vorherrschaft, unter diesem Druck ist das entstanden, da kam die Gewalt her und daher kam dieser Gegendruck und die Entscheidung, nein wir wollen keine Gewalt mehr, wir wollen unsere Kraft in Kreativität kanalisieren.

TL: IST DIE STRASSE NUR EINE VERLEGENHEIT , ODER IST DAS DER RICHTIGE ORT?

RH: Meine erste Tanzstunde war in der Tanzschule und nicht auf der Strasse. Natürlich trotzdem hab ich viele Strassenshows gemacht. Ich hab auch auf der Strasse trainiert, auf der Strasse gebattled Aber wir haben auch genauso in Wohnzimmern, in meinem Kinderzimmer, in der Eigentumswohnung getanzt und auf Hochzeiten und anderen Sachen und viel viel viel im Theater. Also ich glaube, diese Strassenbezeichnung kommt halt von den Leuten, die uns nur auf der Strasse sehen . Wenn die keine Berührungspunkte haben und in so einer abgeschotteten Parallelgesellschaft leben , dann sagen die natürlich, ja das sind Straßentänzer , weil die sehen die nur auf der Strasse. Die sind auf unsren Hochzeiten nicht eingeladen.

TL: NUN LIEGT DER NAME URBAN NAHE, DASS MAN EHER AN DIE STRASSE ALS AUSSENRAUM DER STÄDTE DEBNKT UND NICHT AN INNENRÄUME EINER BÜHNE. WOVON GREZT SICH URBAN DANN AB?

RH: Zum einen gegen den ländlichen Raum, aber es gibt ja auch urbane Kultur als Synonym der afrikanischen Diaspora. Für mich heisst das vor allem, dass Kultur in vielen Facetten in einer Stadt zusammen kommt. Ein Gefühl von Urbanität auch als Befreiung von weisser Vorherrschaft, unter der wir leben.

TL: BIST DU EIN POLITISCHER AKTIVIST?

RH: Richtig. Das kommt daher, dass ich glaube, dass wir in einem Unrechtssystem leben und wenn man das einsieht, dann muss man was dagegen tun, sonst ist man Teil des Problems.

TL: WANN HAST DU DAS ERKANNT? WAS HAT DIR DABEI GEHOLFEN, DAS ZU ERKENNEN? UND WAR DAS SCHMERZHAFT, DAS ZU ERKENNEN?

RH: Vor fünf, sechs Jahren hab ich gemerkt, dass wir in einem Unrechtssystem leben. Das hat viel mit der Verschärfung des Neoliberalismus zu tun und mit der Deutlichkeit, in der wir sehen, dass Menschen ihrer Rechte beraubt werden, ob das im Mittelmeer ist, oder in Abschiebezellen, oder einfach bei uns auf der Strasse. Menschen schlafen auf der Strasse! Nur damit andere Gewinne machen können. Wenn ich das sehe, dann hilft auch die Propaganda von ARD und ZDF nicht, einem zu erzählen, dass das sein müsste und alternativlos wäre.

Raphael Hillebrand im Interview mit Tim Lienhard im Oktober 2020 in Berlin für den WDR

TL: HAST DU DESWEGEN EINE PARTEI GEGRÜNDET , ODER DICH EINER PARTEI ANGESCHLOSSEN?

RH: Ja! Vor 4 Jahren hab ich gedacht, wie kann das sein, die nächste Bundestagswahl kommt und nichts auf diesem Zettel repräsentiert mich?

Das geht nicht! Undich bin auf so eine elitäre Schule gegangen, wo uns gesagt wurde, wenn da nicht draufsteht, was Dich repräsentier, dann hast Du das Recht, aber auch die Pflicht, Dich aufzuschreiben! Weil Du musst ja irgendwo mitmachen. Also hab ich versucht, Mehrheiten zugewinne, Leute zu sammeln, die das ähnlich sehen wie ich und heut sind wir ein paar Hundert.

TL: WO SIEHST DU DICH IN DER GESELLSCHAFT? AM RAND, IN DER MITTE, ODER WO?

RH: Ich sehe mich ganz klar als Teil der Gesellschaft . Ich habe ein großes Glück im Sinne von den Privilegien, die ich erfahren habe, meine Eltern haben beide studiert, ich bin aufs Gymnasium gegangen , meine Muttersprache ist deutsch , ich habe Freunde, die Anwälte sind, da sind ganz viele Sachen bei, die ganz klar mindestens zur Mittelschicht gehören und gleichzeitig bin ich dadurch dass ich schwarz bin, immer wieder damit konfrontiert worden, dass ich da eigentlich nicht dazugehöre.

Ich bin in einer weißen Familie aufgewachsen , mein Stiefvater ist weiß, meine leibliche Mutter ist weiß, mein Bruder ist weiß, da gibt es keinen Grund, mich zu integrieren! Aber trotzdem konfrontiert mich die Gesellschaft immer damit, dass ich mich integrieren sollte, oder dass ich ein gelungenes Beispiel für Integration bin. Dabei ist Integration ein Begriff, der mir einfach nur sagen soll: unterwirf Dich , geb Dich mit weniger zufrieden , streng Dich mehr an ! Ich muss mich nicht integrieren, integreren müssen wir die Weißen, die mit meinem Aussehen Problem haben!

TL: DAS HEISST, DU HAST EINDEUTIGE RASSISMUSERFAHRUNGEN GEMACHT, ODER MACHST SIE TÄGLICH?

RH: Ich glaube wir machen alle Rassismus-Erfahrungen , indem wir einfach nur sehen wie ungerecht Macht verteilt ist. Also da brauch ich ja nur in Berlin in der U-Bahn fahren , sehen wie die Stadt aussieht und dann geh ich in den Bundestag und dann sehe ich, das ist Rassismus. Das ist Rassismus. Die hier oben entscheiden und die sind alle weiß und die anderen sind es aber gar nicht.

Da muss ich gar nicht auf meine persönliche Ebene gehen, oder gucken wie mir das wehgetan hat, sondern wir leben in einem rassistischen System, alle auf diesem Planeten !

TL: KANN DIE PARTEI DA JETZT VERSUCHEN; ETWAS ZU VERÄNDERN? WOLLT IHR IN DEN BUNDESTAG? IST DAS REALISTISCH?

RH: Wir werden nächste Jahr 5% erreichen. Ziemlich sicher, solange, die Leute versteh, dass wir die einzige Partei sind, die Diversität ernsthaft repräsentiert. Die andern sprechen darüber, wir leben das. Wir haben Quoten, dass höchsten die Hälfte des Vorstandes weiß ist. Wir haben Quoten, dass höchsten die Hälfte Cis-Männer sind, die andern sprechen darüber, aber die werden das nie umsetzen, weil sie dann auch kein Interesse haben. Und deswegen bin ich mir ziemlich sicher, dass wir mit der Partei das nächstes Jahr nicht nur schaffen können, sondern vor allen Dingen den Diskurs verschieben. Weil auf einmal ganz anders über Dinge gesprochen wird, wenn wir mit im Raum sind.

TL: WIRST DU AUCH POLITISCHE ÄMTER ANSTREBEN?

RH: Ich strebe kein politisches Amt an, weil ich ein sehr glücklicher Künstler bin und ich Geren Kunst mache und gern auf die Bühne gehe.

Aber wenn niemand diese Ämter ausführt und ich glaube so sollten wir mit politischen Ämtern insgesamt umgehen, das ist ein Dienst, den man der Bevölkerung tut. Oder den man der Allgemeinheit tut, und ich halte nichts von Berufspolitikertum , aber wenn niemand da ist und mich andere Leute bitten, das für 5 Jahre zu machen, da geh ich natürlich in den Bundestag.

Und ich glaube es ist sehr gut, wenn da mal Leute reingehen, die da nicht ihr ganzes Leben lang am Stuhl festhalten , sondern die da hin gehen, weil sie trotzdem sie was besseres zu tun haben, denken, es ist wichtig, dass ihre Perspektive vertreten wird.

TL: DER KÜNSTLER IN DIR WILL WAS? 

RH: In den letzten 20 Jahren meiner künstlerischen Arbeit habe ich viel die Gesellschaft kommentiert oder auch kritisiert und ich glaube ich möchte in meiner künstlerischen Vision in der Zukunft die Utopie bauen. Zeigen, wie können wir eigentlich leben. Was ist die Zukunft, die wir anstrebt wollen, weil ich glaube, dass wir in einer Zeit leben, die Utopien kaum noch zulässt . Es geht so viel um Alternativlosigkeit und was wir uns nicht leisten können und was wir machen müssen.

Die Corona-Krise hat uns wunderschön gezeigt , dass wir in der läge sind, alles zu machen.

Wenn wir den Klimawandel so ernst nehmen würden wie Corona, dann wäre das Ding in vier Jahren durch. Dann würde einfach keiner mehr fliegen und wir würden ein paar Sachen ändern . 

Jetzt wieder anfangen zu träumen und gerade da für auch die Kunst zu nutzen und zu sehen, in den nächsten 20 Jahren wird das richtig gut laufen, oder richtig schief gehen, das möchte ich gern den Leuten als Künstler nahebringen.

TL: DAS KLINGT TOLL, DA WÜNSCHE ICH DIR VIEL GLÜCK DABEI. DU BIST SOWOHL DARSTELLER, ALS AUCH CHOREOGRAF. WELCHE ROLLE IST DIR LIEBER?

RH: Dadurch dass ich aus dem Hip Hop Bereich komme, beim Breaken gibt es da keine Trennung. Du bist von Anfang an angehalten, Deine eigen Schritte, Deinen eigenen Stil zu entwickeln, und so bist Du von Anfang an Choreograf. Du choreografierst nur erst einmal nur Deinen eigenen Körper. Und wenn dann viele merken, oh der hat gute Sachen drauf, dann stellen sie Dir ihren Körper zur Verfügung und Du kannst eine Gruppe choreografieren.

Ob Tänzer, Choreograf, Assistent oder Aktivist, ich fühle mich in all diesen Rollen wohl und sie sind alle Teil von mir. Ich bin viel.

TL: ES IST VERPÖNT, MOVES ZU KOPIEREN. IST ES MÖGLICH, IMMER WAS NEUES ZU ENTWICKELN?

RH: Der menschliche Körper ist limitiert durch die Anzahl seiner Teile, aber gleichzeitig eröffnet jeder neue Schritt, jede neuen Bewegungsqualität auch Türen zu zwei neuen Schritten , oder zu zwei neuen Arten sie lesen zu können. Und so ist es nicht so, dass die Bewegungen, die zu erfinden sind, immer weniger werden, sondern es werden immer mehr, weil es unendlich viele Möglichkeiten gibt, solange wie das Gegenüber auch lernt, die Variation zu lesen.

Das ist genau die Schönheit des Urbanen Tanzes, warum wir jeden Tag auf YouTube neue Sachen sehen können und was ist in den letzten Jahren alles passiert?! Die Tanzwelt wurde buchstäblich auf den Kopf gestellt und gedreht!

TL: SIND ES INHALTE, DIE IN DIESEN MOVES SIND, ODER EMOTIONEN? EHER GEDANKEN ODER GEFÜHLE?

RH: Einen neuen move zu entwickeln, ist ein Wechselspiel. Das kommt durchs Machen, aber natürlich auch darüber nachdenken, was andere machen. Es gibt so viele innerhalb Bildet, dass man da Geist und Körper gar nicht trennen kann, sowohl im Konzept als auch in der Praxis.

TL: ZUM SCHLUSS NOCH EIN WORT ZU DEINEM SOLO, WORUM GEHT ES DA?

RH: In dem Stück AUF MEINE. SCHULTERN erzähle ich meine Lebensgeschichte an mein Tochter .

Ich tue so, als wäre das Publikum meine dreijährige Tochter und ich erzähle ihr was ich erlebt habe. Unterstützt werde ich dabei von einem Cellisten Enrico Mathias, der den Soundtrack dazu macht.

Und das ganze zeigen wir , die haben das auch produziert, im Ballhaus Naunystrasse, die berühmt sind für ihr postmigrantisches Theater. Direkt im Hetzen von Kreuzberg.