Room 125 - Anja Engelke

Room 125 – Anja Engelke

Leben in einer Fotografie – geht das? Die Bremer Fotografin Anja Engelke tut das. Hier das ganze Interview zu meinem TV-Beitrag über dieses ungewöhnliche Projekt „Room 125“

WDR link bis 14.11.2021 gültig

https://www1.wdr.de/fernsehen/west-art/sendungen/anja-engelke-100.html

Westart vom 14.11.2020

Autor: Tim Lienhard, Kamera: Mathias Thomae, Schnitt: Julius Eisel

Anja Engelke: Ich bin Anja Engelke, komme gebürtig aus Bremen, habe auch in Bremen an der Hochschule für Künste studiert. 

Design, mit Schwerpunkt Fotografie, das ging damals noch fast illegal . Ich bin dann in Bremen hängengeblieben, obwohl ich eigentlich immer weg wollte. Aber seit ein paar Jahren bin ich hier angekommen. Als Fotografin, aber auch als Mensch.

Dieser Fluchtgedanke ist weg inzwischen.

Tim Lienhard: HAT DER FLUCHTGEDANKE AUCH MIT SEHNSÜCHTEN ZU TUN, DIE FOTOGRAFIEN WIE DIE VON STEPHEN SHORE IN DIR AUSLÖSEN KÖNNEN? DIE WEITE FERNE. AMERIKA. ROAD TRIP.

Anja Engelke: Ich würde sehr gerne mal einen Road trip machen, aber mit einer Aufgabe verbunden, nicht einfach so.

Tim Lienhard: WAS HAT DICH ZUR FOTOGRAFIE GEBRACHT?

Anja Engelke: Ich hatte erst mit Illustration begonnen. Aber nachdem ich den ersten Fotokurs gemacht hatte, war’s um mich geschehen.

Tim Lienhard: KANNST DU VON DER FOTOGRAFIE LEBEN?

Anja Engelke: Tatsächlich ja , trotz Corona.

Tim Lienhard: WIE KAM ES ZU DEINEM PROJEKT ROOM 125?

Anja Engelke: Ich hatte viele Jahre den Traum, in einer Fotografie zu leben und hab immer gedacht, wenn ich in eine 2-Zimmer Wohnung ziehe, ich wohne bis heute in einer 1-Zimmer Wohnung, dann wohne ich in einem Zimmer und im andern bau ich eine Fotografie nach.

Dann ist mir nach einigen Jahren klar geworden, ich zieh irgendwie doch nicht um, selbst wenn ich umziehen würde, müsste der Raum ja zu der Fotografie passen, die ich nachbauen möchte. Und dann habe ich irgendwie peu a peu gedacht, ok, jetzt bau ich halte die Fotografie in meiner Wohnung nach.

Und hab mich dann umgeguckt, welche überhaupt infrage kommt. Ich muss die Fotografie mögen, sie muss irgendwie bewohnbar sein und realisierbar sein, was nicht so häufig vorkommt.

Ich mag die 70iger Jahre. Deswegen hab ich da ein bisschen rumgeguckt . William Eggleston habe ich noch in Betracht gezogen, aber Eggleston ist nicht so wohnlich.

Dann bin ich auf Stephen Shore gestossen, den ich natürlich vorher schon kannte und habe das Foto entdeckt und gut, natürlich habe ich eine Weile überlegt und dann hab ich mich dafür entschieden.

Tim Lienhard: ICH HÄTTE GEDACHT, DASS DU DURCH DIESES FOTO ZU DEM PROJEKT INSPIRIERT WARST UND NICHT UMGEKEHRT. WAS HAT ÜBERHAUPT DIE URSPRUNGSIDEE BEI DIR AUSGELÖST?

Anja Engelke: Also ich liebe Fotografie, ich wäre auch gerne Stephen Shore, oder ein bekannter Fotograf und wenn ich jetzt keine Fotografin wäre, würde ich Fotografien sammeln. 

Also ich hätte die Bilder einfach gerne.

Also ich meine, mehr an sich reissen kann man ein Foto ja gar nicht, als darin wohnen. Das ist ja jetzt schon fast mehr mein Bild, als Stephen Shores.

Ich kenn das Gefühl besser als er, würde ich behaupten.

Tim Lienhard: ICH VERSUCHE DEN MOMENT ZU VERSTEHEN, AN DEM DU DIE IDEE HATTEST, IN EINER FOTOGRAFIE LEBEN ZU WOLLEN. GAB ES DAFÜR EINEN AUSLÖSER?

Anja Engelke: Nein, das ist acht, neun Jahre her.

Das kam einfach so. Der Wunsch war irgendwann da und dann ist der über die Jahre gewachsen.

Tim Lienhard: ES MUSSTE DEFINITIV EIN FOTO EINES INNENRAUMES, ODER RAUMES SEIN, WENN DU DARAN LEBEN WOLLTEST.

Anja Engelke: Definitiv. Zelten wollte ich jetzt nicht. Eine Freundin hatte verstanden, als wir im Ferienhaus meiner Großeltern waren, weshalb ich diese Art Räume mag. Ich mag die 70iger einfach. Und ich mag die Fotografie der 70iger. Ich würde nicht in einem Foto wohnen wollen, das ich nicht mag. Das geht gar nicht

Tim Lienhard: WAS HEISST IN EINEM FOTO WOHNEN? IST DAS AUCH EINE ZEITREISE?

Anja Engelke: Auf den Fotos sind ja schon Sachen, die an die Zeit erinnern. Das Foto ist 73 entstanden. Aber es gibt auch immer wieder Brüche wo ganz klar ist, nie das ist 2018/2019 entstanden. Das war mir auch wichtig. Und natürlich ich hab da ein Jahr drin gelebt, ich lebe bis heute da drin.

Tim Lienhard: DU HAST DAS FOTO ALSO NICHT NACHGEBAUT, NUR UM ES ZU FOTOGRAFIEREN?

Anja Engelke: Ich habe das Original, also das nachgebaute Original , was dann ja mein Original ist, tatsächlich einmal fotografiert als Beweisführung, dass es bei mir wirklich so aussieht wie in Stephen Shores Foto. Das war das Foto, was mich am wenigsten interessiert hat. Das habe ich abgearbeitet, damit ich’s hab. Der Rest war spannender. Das Foto gab´s ja schon.

Tim Lienhard: WAS WAR DER REST? DAS EIGENTLICHE?

Anja Engelke: Mein Leben trifft ja jetzt , bis heute auf den Raum von Stephen Shore und dann passieren ja ganz interessante Dinge. Zum Beispiel saß ich eines Tages auf meinem Bett und die Tagesdecke hat sich so ganz schön gewellt. Da dachte ich, ach super, ich mal eben ein Foto und hab dann versucht, ob ich es noch schöner hin krieg, aber tatsächlich, der Zufall macht doch vielleicht die besten Bilder. Jetzt hab ich aber aufgehört, in dem Bild zu fotografieren.

Tim Lienhard: WAR DAS EIN KONZEPT, DAS BILD PRÄZISE ABZUBILDEN, AUCH IN DEN OBJEKTEN, MÖGLICHST 1 zu 1?

Anja Engelke: Ich habe natürlich den Ehrgeiz gehabt, möglichst dicht ranzukommen und ich habe mega viel über Einrichtungen gelernt , aber 100 %  stimmt es natürlich nicht.

Ich habe eine Freundin , die ist Biologin. Ich war sehr stolz als ich die Tagesdecke gefunden hatte, weil ich finde sie schon sehr ähnlich. Sie ist Biologin und meinte „Anja, die kannst Du nicht nehmen, da sind ganz andere Blumen drauf!“ Ja, so sieht jeder anders auf das Bild.

Tim Lienhard: DU HAST ALSO LANGE GESUCHT, BIS DU DIE OBJEKTE ALLE MÖGLICHST ORIGINALGETREU GEFUNDEN HATTEST?

Anja Engelke: Manchmal haben mich die Sachen auch gefunden . Der Stuhl zum Beispiel. Mega schwierig so einen Stuhl zu finden!

Die meisten Stühle haben waagerechte Streben, ich brauchte aber einen Stuhl mit senkrechten Streben und zweite Schwierigkeit, abgerundete Ecken. Ich habe ewig geguckt und auch schon eingekauft, der so medium gut war. An dem Tag als wir die Wand gebaut hatten , bin ich noch einkaufen gewesen, am Sperrmüll vorbei und da stand mein Stuhl. Manche Sachen mussten glaube ich zu mir kommen.

Tim Lienhard: WARST DU ERST ZUFRIEDEN, ALS DAS BILD MÖGLICHST 1 zu 1 DEM ORIGINAL ENTSPRACH?

Anja Engelke: Ich bin Kompromisse eingegangen.

Ich hätte ja auch viel Geld in die Hand nehmen könnend alles exakt nachbauen, aber das wäre auch langweilig gewesen.

Tim Lienhard: WAR DEIN ZIEL DAS FOTO, ODER DAS LEBEN IM FOTO?

Anja Engelke: Das Leben in dem Foto. Also das Nachbauen hat mich nicht gereizt, das war eher anstrengend.

Tim Lienhard: WAR DAS DEIN KONZEPT, DASS DU DARIN LEBEN WOLLTEST UND DAS LEBEN DARIN FOTOGRAFISCH DOKUMENTIEREN?

Anja Engelke: Ich wollte von Anfang an in einer Fotografie leben. War aber noch offen , was ich fotografiere, wieviel Rest ich von meiner Wohnung noch mit reinnehme, oder ob ich Freunde portraitiere, die da sitzen. Hätt ich alles machen können und dann hab ich mich peu a peu in die Richtung entwickelt, dass ich zu Stilleben gegangen bin.

Tim Lienhard: DAS REDUZIERTE GEFÄLLT MIR SEHR GUT AN DEINEM BUCH „ROOM 125“ (Kerber Verlag) . DAS PASST JA  AUCH ZU STEPHAN SHORE.

Anja Engelke: Stephen Shore ist ja gereist. Ich war zuhause. Er hat seinen Alltag fotografiert, ich habe meinen Alltag fotografiert, und so war mir schon vorher klar, ok wenn ich in der Fotografie lebe, dann werd ich auch mal Pfannkuchen essen zum Beispiel, weil er ein bekanntes Bild hat mit Pfannkuchen.

Und so hab ich ein paar Sachen einfach gemacht, oder ich wollte auch ein Puzzle machen, weil er in einer Fotografie ein Puzzle hat. So haben sich die Sachen ergeben, aber wie gesagt , es gab auch die Zufallssachen.

Es gibt ein Foto mit dem Licht, wo der echte Sonnenschein auf die Wand fällt, da steht eine Blume Die Sonne steht nur zwei Wochen im Jahr so, dass die direkt in das Zimmer fällt.

Da konnte ich nachts nicht schlafen, war um fünf wach und dachte, es könnte ja jetzt sein, dass die Sonne da hin fällt und habe dann halt morgens um fünf ein Foto gemacht. Das funktioniert meiner Meinung nach nur wenn man in einer Fotografie lebt. Weil sonst verpasst man solche Momente, vermute ich.

Tim Lienhard: DAS IST EIN ORIGINELLES KONZEPT. SIEHST DU DAS AUCH ALS KONZEPT?

Anja Engelke: Ja, das ist ganz klar eine konzeptionelle Arbeit.

Tim Lienhard: KONZEPT BEDEUTET AUCH, DASS ES SICH ÜBERTAGEN LÄSST. HAST DU VOR, EIN ANDERES FOTO ZU GESTALTEN, IN DEM DU DANN DIE NÄCHSTEN JAHRE LEBST? 

Anja Engelke: Ich hatte bereits überlegt, ob ich umziehe, in eine andere Fotografie. Ich mache jetzt erst mal was anderes, aber ich schließe das defintiv nicht aus.

Tim Lienhard: ICH HATTE VERMUTET, DASS DIESES PROJEKT AUCH WAS MIT CORONA ZU TUN HABE. DASS DU ZURÜCKGEWORFEN AUF DEINEN EIGEN RAUM, DIR DEINEN AUSSTELLUNGSRAUM IN DEINE WOHNUNG  GEBAUT HAST.

Anja Engelke: Es gibt interessante Wechselwirkungen zu Corona. Das Projekt war aber bereits vor Corona abgeschlossen.

Es gibt Brüche. Die Milchpackung beim Pfannkuchen ist ganz klar, oder der Sirup ist auch 2018/19/20.

Ich hab ziemlich schnell verstanden, dass das nicht funktioniert mit den modernen Sachen

Tim Lienhard: FÜHLST DU DICH AM ZIEL ANGEKOMMEN, SEIT DU DARIN LEBST?

Anja Engelke: Sobald der Tisch da war, der kam recht spät, hab ich dann irgendwann nochmal Stephen Shore gegoogelt und dann hat’s plötzlich gekippt , ich dachte, oh jetzt hab ich das Gefühl, Stephen Shore hat mein Zuhause fotografiert und ich wohne nicht mehr in der Fotografie von Stephen Shore.

Eigentlich ein trauriger Moment, nachdem ich mir das so viele Jahre gewünscht hatte.

Tim Lienhard: WANN WAR DIESER PUNKT UND WIE LANGE WILLST DU NOCH DARIN WOHNEN?

Anja Engelke: Also ich wohne da seit gut zwei Jahren drin. Ich möchte die Wand behalten, habe aber keinen Keller und keinen Dachboden. Sobald ich sie abbaue, muss ich sie ja irgendwo lagern. Ich wohne sehr gerne in dem Foto!