Romeo Castellucci & Teodor Currentzis
Frauenmörder & Welterlösung bei den Salzburger Festspielen 2022
Es ist die Eröffnungspremiere bei den Salzburger Festspielen 2022. Zwei Kurzopern: Bela Bartoks „Herzog Blaubarts Burg“ (von 1911) über einen Frauenmörder und Carl Orffs „De Temporum fine Comedia“ (von 1971). In der Inszenierung des italienischen Regisseurs Romeo Castellucci. Am Dirigentenpult: Teodor Currentzis.F
Für die Nachrichtensendung von arte, das arte-Journal war ich in Salzburg, um Romeo Castellucci zu seiner Doppelinszenierung zu interviewen und die Generalprobe zu filmen
Am 26.Juli, dem Tag der Premiere strahlte der Sender den Beitrag aus. Bis zum 26.07.2023 steht er in der Arte Mediathek:
www.arte.tv/de/videos/110449-000-A/salzburger-festspiele-2022-frauenmoerder-und-welterloesung/
Tim Lienhard: Düstere Zeiten – düstere Szenen. „Herzog Blaubarts Burg“ – eine Kurzoper von Bela Bartok ist ins beinahe unkenntliches Dunkel getaucht. Schwere Kost, auch rein visuell. Kombiniert mit einer ebenso nachtdunklen Inszenierung von Carl Orffs „De temporum fine comoedia“. Düsteres im Doppelpack!
Romeo Castellucci:„C´est une combination extraordinaire sur le plan de la dynamic, sur le plan de la philosophie, sur le plan aesthetic.“
„Es ist eine außergewöhnliche Kombination in Sachen Dynamik, in Sachen Philosophie, in Sachen Ästhetik.“
Tim Lienhard: Mich interessierte, was beide Opern mit einander verbindet. Immerhin liegen 60 Jahre zwischen ihrer Entstehung und musikalisch scheinen sie geradezu konträr zueinander zu sein.
Romeo Castellucci:„Entre les deux ouvres il y a un lien formel qui a fait par contraproduction.“
„Zwischen den beiden Werken besteht eine formale Verbindung durch Kontraproduktion.“
„Dans Bartok il ya une mélancolie extraordinaire. Mois je peux pleurer seulement en écoutant la musique.“
„Bei Bartok gibt es eine außergewöhnliche Melancholie. Allein die Musik lässt mich weinen.“
„L´autre oeuvre de Orff qui est un chef d´ouevre, moi je connais depuis longtemps, quand j´était un adolescent j´etait déjà passionné „De temporum fine comedia“.
„Das Werk von Carl Orff ist ein Meisterwerk, ich kenne es schon lange, schon als Teenager war ich begeistert von „De temporum fine comedia“.“
„Il y a rapport entre le plein et le vide, entre la force et la faiblesse, la coupabilité et le jugement.“
„Es gibt eine Beziehung zwischen Fülle und Leere, zwischen Stärke und Schwäche, Schuld und Urteil.“
Tim Lienhard: Schier unerträglich ist der Schmerz, der sich hier äußert. Eine gequälte, liebende Frau in den Fängen eines Frauenmörders. Auf mich wirkte Judith, die sich dem Herzog Blaubart ausliefert nicht wie eine glücklich Liebende, sondern wie eine manipulierte, zutiefst verstörte, leidende Frau. Romeo Castellucci sieht das überraschend anders.
Romeo Castellucci: „Judith a mon avis c’est une femme universelle, hors du temps. Trés fort, mais la force arrive par une perte, elle a perdu quelqu’un. Nos hypothèses que ça peut etre une perte d’un enfant.“
„Judith ist meiner Meinung nach eine universelle Frau, aus der Zeit gefallen. Sehr stark, aber ihre Stärke kommt durch einen Verlust, sie hat jemanden verloren. Wir nehmen an, dass es sich um den Verlust eines Kindes handeln könnte.“
„Le moteur de Judith, la force de Judith c’est la douleur.“
„Judiths treibende Kraft, Judiths Stärke ist der Schmerz.“
Tim Lienhard: Für Romeo Castellucci findet die Handlung nicht in einer realen Burg des Herzog Blaubart statt, sondern in einem geistigen Raum, in der Psyche.
Romeo Castellucci: „Le château ça n’existe pas, c’est pas une architecture c’est plutôt un palais mentale. On entre vraiment dans la psychologie. L´intimité et l´universalité, c´est vraiment un object je trouve très interessant.Il y a cet sentiment de l’amour cassé. Une fracture. Une Division entre le moi et l’autre.“
„Das Schloss existiert nicht, es ist keine Architektur, es ist eher ein mentaler Palast. Hier geht es um Psychologie. .Intimität und Universalität sind wirklich ein Thema, das ich sehr interessant finde. Da ist dieses Gefühl der zerbrochenen Liebe. Ein Bruch. Eine Trennung zwischen mir und dem anderen “
Tim Lienhard: Am Dirigentenpult steht für beide Opern Teodor Currentzis. Seine Interpretation von Carl Orffs „De temporum fine comoedia“, 2.Teil der Eröffnungsproduktion in der Regie von Castellucci hat Weltniveau. Da Teodor Currentzis von einer russischen Bank gesponsert wird, ist er in die Kritik geraten. Auch weil er auf dem Wirtschaftsforum von Vladimir Putin in Sankt Petersburg erst vor ein paar Wochen im Juni 2022 einen Auftritt hatte, musste er sich mit dem Vorwurf der Nähe zu Putin auseinandersetzen. In Salzburg befürchtete die Festspielleitung Proteste, wenn nicht gar Randale. Statte dessen wurde der griechische Star-Dirigent mit russischen Wurzeln vom Festivalpublikum gefeiert. Ich hätte ihn gerne interviewt, aber er war zum Interview nicht bereit. Auch Romeo Castellucci wollte sich zu diesem Problem um Sponsoring und Sanktionen nicht äußern. Er beschränkte sich auf Erläuterungen zu seiner Inszenierung. Von der Festivalleitung war ein plausibles Argument zu dieser Problematik zu hören: Wer in Russland das Wort KRIEG in den Mund nimmt im Zusammenhang des Krieges gegen die Ukraine, riskiert eine Gefängnisstrafe für viele Jahre. Sollte Teodor Currentzis dies riskieren und sich damit seiner von allen gerühmten Kunst entziehen?
Romeo Castellucci: „De temporum fine comedia“ c´est tout au contraire au Bartok un structure musicale moderne, structurée méchanique, musculaire, qui fait de la force du marteau sa puisssance. Lucifer il demande pardon, donc le mal et solu. Le mal a été effacé par dieu. Le mal a la fin du temps il peut pas exister. Peut pas résister. Donc je crois que „De temporum fine comedia“ c’est un monument de Pardon.“
„De temporum fine comedia“ ist im Gegenteil zu Bartok ein modernes musikalisches Gebilde, mechanisch strukturiert, muskulös, das die Kraft des Hammers zu seiner Macht macht. Luzifer bittet er um Vergebung, damit das Übel gelöst wird. Das Böse wurde von Gott ausgelöscht. Das Böse kann am Ende der Zeit nicht existieren. Kann keinen Widerstand leisten. Deshalb glaube ich, dass „De temporum fine comedia“ ein Monument der Vergebung ist.“
Tim Lienhard: Ich wollte wissen, warum er die Bilder, für die er bekannt ist und gefeiert wird, die visuelle Gestaltung seiner Inszenierung in diesem Fall ins fast Unkenntliche taucht? Der Orchestergraben leuchtete oft heller als die Bühne.
Romeo Castellucci: „Il y a aucun logos, il ya pas la lumière, Il y aucun voix. Tout est bloqué, tout est perdue, et l´humanité a été abandonné. Donc la manque de soleil signifie aussi la manque d’espoir, la manque de chaque perspective et le ciel est tombé comme une pierre sur l´humanité.“
„Es gibt keine Zeichen, kein Licht, keine Stimmen. Alles ist blockiert, alles ist verloren und die Menschheit wurde aufgegeben. Der Mangel an Sonne bedeutet also auch den Mangel an Hoffnung, den Mangel an jeder Perspektive und der Himmel ist wie ein Stein auf die Menschheit gefallen.“
Symbolischer hätte er es nicht ausdrücken können. Statt Erleuchtung und Klärung: Verklärung und Verschattung. Bei Carl Orff siegt Gott über den Teufel. Soll das bei aller Düsternis ein Hoffnungsschimmer sein?
Romeo Castellucci: „C’est une force térrifiant, mais avec cet finale, avec la douceur de Lucifer qui demande pardon a son père. Je trouve que ce tellement bon et doux.“
„Es ist eine erschreckende Kraft, aber mit diesem Finale, mit der Milde von Luzifer, der seinen Vater um Vergebung bittet. Ich finde das sehr gut und lieblich.“
Tim Lienhard: Die Schlussworte der Oper „De temporum fine comoedia“ sind für Romeo Castellucci entscheidend. Eine Aufforderung, die heute gültig ist und uns nicht nur zum Nachdenken auffordern soll.
Romeo Castellucci: „Mach ein Ende!“ Aujourd’hui c’est très impressionnant, parce que on peut vraiment penser que ce qui se passe autour de nous. „Mach ein Ende!“ – arrete, on doit arreter!“
„Mach ein Ende!“ Ist das nicht genau das, was war heute angesichts dessen, was um uns herum passiert denken ? Stop! Wir müssen anhalten!
Mitarbeit: Daniel Cilento & Julius Eisel
© 101 movie GmbH / Tim Lienhard 2022