Helmut Newton - The Bad and the Beautiful

Helmut Newton – The Bad and the Beautiful

Link zum Beitrag in der WDR Mediathek:

Für ttt am 28.06.2020. und wiederholt in Westart/WDR am 6.Juli 2020

Autor: Tim Lienhard. – Kamera: Sebastian Tögel – Schnitt: Sandra Brandl

Lange Beine, großer Busen. Sexuell aufgeladen. Was für ein Frauenbild!
Übergross, ausladend, ausgestellt. Diese Bilder sind für Männer gemacht.
Auch deswegen sind sie heute, 2020, im Jahr in dem der Macher der Bilder Fotograf Helmut Newton 100 Jahre alt geworden wäre bei einigen Betrachtern und Betrachterinnen sehr umstritten.

Mich hat überrascht, wie heftig so manche Reaktion der über 1,3 Millionen Fernsehzuschauer ausfiel, die meinen Beitrag zu Gero von Boehm erstem Kinofilm „Helmut Newton – The Bad and the Beautiful“ gehen und kommentiert haben.

Mir hat es Spaß gemacht, diese wie ich finde ziemlich gediegene Doku des TV-Dinosauriers Gero Von Boehm für das Kulturmagazin der ARD zu bearbeiten/besprechen.

Helmut Newton: Isabella Rossellini mit David Lynch 1988 in Los Angeles © Helmut Newton Stiftung Berlin

Klar, wie David Lynch die Schauspielrein Isabella Rossellini auf diesem Foto von Helmut Newton anpackt, fast wie ein Objekt, so als habe er diese Frau selbst geschaffen… das stösst Feministinnen auf. Und dies ist sicher noch ein eher harmloses Beispiel für die Rollenspiele und das Rollenverständnis des Helmut Newton..

Mir gefällt das Plakatmotiv zum Film sehr gut. Da gibt sich Helmut Newton verspielt, fast ein bisschen queer. In Frauenklamotten, mit denen er in Monte Carlo laut Aussage des Filmregisseurs Gero von Boehm eine ganze Party-Nacht auf High Heels unterwegs war.

Filmplakat zu Gero von Boehms Filmdokumentation über Helmut Newton

Zehn berühmte Frauen berichten von ihren Erfahrungen vor Helmut Newtons Kamera. Das ist der Plot des Kinofilms von Gero von Boehm über einen der größten Provokateure der Mode-Fotografie.

Hier ein paar der Frauen, die in der Filmdokumentation zu Wort kommen:

CHARLOTTE RAMPLING:
„The feeling that Helmut gave me when he was photographing is huge power. So when I was with furs and jewels and hair and lipstick and nails, it’s just, you go into… A character like, you know… Nails and these are the nails on skin and all that sort of stuff going on.“

„Wenn Helmut mich fotografierte, spürte ich eine enorme Kraft in mir. Ich trug Pelze und Juwelen , eine tolle Frisur und Lippenstift und falsche Nägel. Da geht man vollständig in eine Rolle hinein. Die Nägel auf der Haut sind ein Symbol dafür wie tief er in einen hineinschaute.“

Marinanne Faithfull:
„Helmut made me show my tits in that way, without feeling any embarrassment. Or shame or anything. I was rather prudish, I think I still am. Helmut was one of the first people I met who didn’t have any of those hang-ups.“

„Helmut hat mich meine Titten sehen lassen, ohne Scham oder sonstige Vorbehalte. Ich war eher prüde, das bin ich vermutlich noch immer. Er hat mich geöffnet.“

Isabella Rossellini
„Helmut of course, he wasn’t just simply macho, it was more complicated than that. But he does look at women as a sexual object and also an attraction and an anger towards her.“

„Helmut war ja nicht einfach ein Macho, es war komplizierter, er sieht Frauen als Sexobjekte, als anziehend und gleichzeitig hegt er auch einen Groll gegen sie.

Nadja Auermann
„Dass es ein Spiegel ist für die Gesellschaft. Weil die Gesellschaft ist sexistisch und es gibt viel Frauenfeindliches.“

Nur Susan Sontag hält dagegen – bei einem Gastauftritt von ihr in den 70iger Jahren in der legendären französischen TV-Sendung APOSTROPHE gibt sie dem ebenfalls anwesenden Gast Helmut Newton Contra: Susan Sontag „Le maître adore son esclave. Le bourreau adore sa victime. Il y a énormément d’hommes mysogynes qui disent qu’ils adorent les femmes. Mais ils montrent les femmes dans des images humiliantes.“

„Der Sklavenhalter verehrt seine Sklven, oder ein Henker sein Opfer und frauenfeindliche Männer zeigen Frauen in erniedrigenden Bildern und behaupten, sie zu lieben.“

Apropos Sklavenhalter – diese Äusserung der von mir sehr geschätzten Susan Sontag bezieht sich auf alles was Helmut Newton bis in die frühen 70iger Jahre gemacht hat.

1978 erschien dieses Bild von Helmut Newton auf dem Titel des „stern“, was hätte dazu wohl Susan Sontag gesagt?

Titel STERN Nr. 16/1978 vom 13. April 1978

Daraufhin wurde eine Sexismusklage gegen den „stern“ erhoben. Alice Schwarzer, Herausgeberin der Zeitschrift EMMA begehrte auf gegen den frauenverachtenden Umgang von Medien und Fotografen und Magazinen angesichts dieses Magazintitels. Und damit war sie nicht allein.

Titel der Zeitschrift EMMA zu einer Sexismusklage im Zusammenhang mit Helmut Newtons Portrait von Grace Jones

Grace Jones tritt auch in dem aktuellen Kinofilm von Gero Von Boehm auf, ohne ein böses Wort gegen den verehrten Helmut Newton. Fast erstaunt und naiv sagt sie:

„I really wasn’t aware that it made such a… Big scandal. I know basically… I kind of heard around a bit „Oh, sexism and racism“… but I never felt bad at all. You know. I mean it’s like, acting.“

„Mir war nicht bewußt, dass das solch ein Skandal war. Ich habe etwas von Sexismus und Rassismus gehört, aber ich habe das nie so gesehen. Es ist ein Schauspiel wie im Film.“

Also, ein umstrittener Film, weil ein heikles Sujet angesichts so vieler praller Busen und langer Beine und nackter Frauen. Aber einer, der dem unbestritten einflussreichen Starfotografen gerecht wird.

„Was empfinden wir Männer, wenn wir diese Bilder sehen? Empfinden wir nicht auch ein bisschen Angst vor diesen starken Frauen? “ fragte Gero Von Boehm im Interview mit mir.

Eine Äußerung des verschmitzten Berliners Helmut Newton sagt meiner Meinung nach alles aus, was der Film in den Griff zu bekommen versucht: „Mich interessiert das Gesicht, der Busen, die Beine. Und das sieht man auf meinen Fotos. Und man sieht, hoffe ich, etwas mehr. Aber Seele? Das verstehe ich nicht.“

Dieses ETWAS MEHR, das sich Helmut Newton erhoffte, liegt im Auge eines jeden Betrachters und erst recht jeder Betrachterin.
Sympathisch ist, dass Helmut Newton sein Leben lang verspielt geblieben ist und gerne mehrdeutig war. Das zeigt der Kinofilm auch. Und wie er alles erotisch aufladen konnte. Selbst ein Brathähnchen.

Helmut Newton lädt ein Brathähnchen erotisch auf und animiert ganz augenzwinkernd dazu, einen Haufen Geld für sehr teuren Schmuck auszugeben