WOHNSÜCHTIG
Rückzug ins Private . Walter Benjamin nannte das in seinem „Passagenwerk“ WOHNSÜCHTIG. Dazu machte ich einen TV-Beitrag für Arte. Ausstrahlung am 14.01.2021 – Hier das vollständige Interview mit Prof. Dr. Daniel Weidner, Vorstand der International Walter Benjamin Society
WOHNSÜCHTIG
In seinem „Passagenwerk“ beschrieb Walter Benjamin vor hundert Jahren die Möblierung , die Interieurs der Gesellschaft. Da sprach er von „wohnsüchtig“.
Die spannende Frage ist, ob man diese Tendenz, sich auf den Innenraum, den privaten Raum, das Nest zu konzentrieren, nun angesichts der Lockdowns auch als „wohnsüchtig“ beschreiben kann?
Das fing mit den Baumärkten an, wo Materialien beschafft wurden, um die durch Kurzarbeit freigewordene Zeit für liegengebliebene Renovierungen zu nutzen, das geht aber weiter bis dahin, dass sich Menschen von den leidigen Einschränkungen im öffentlichen Leben zurückziehen in eine Privatheit, die besonders wohnlich , also auch gemütlich werden soll.
Ein positiverer Blick auf den Rückzug ins Private könnte das sein, ein kritischer sicher auch auf die Ansammlung von Waren im Privaten.
Interview mit Prof. Dr. Daniel Weidner, Vorstand der International Walter Benjamin Society
WIE KAMEN SIE ZU IHRER BESCHÄFTIGUNG MIT WALTER BENJAMIN?
Noch vor der Magisterarbeit hatte ich das „Passagenwerk“ gelesen. Da dachte ich, so müsste man eigentlich denken und schreiben. Dann habe ich die Magisterarbeit darüber geschrieben und dann immer mal wieder über Benjamin gearbeitet.
WAS FASZINIERT SIE AN WALTER BENJAMIN?
Das Denken im Konkreten . Es gibt eine wunderbare Anekdote, wo Benjamin davon berichtet , dass auf Bertold Brechts Tisch ein kleiner Esel stand mit einem Schild um den Hals, auf dem steht „Auch ich muss verstehen“. Also Dinge einfach sagen und „Die Wahrheit ist konkret“ – das ist eine sehr schöne Devise.
IST ES DEMNACH ERLAUBT, WALTER BENJAMIN IN EINEN NACHRICHTENKONTEXT ZU STELLEN, WIE ICH DAS HIER MACHE?
Absolut. Benjamin hat lange als Journalist gearbeitet und nicht nur notgedrungen, das auch, sondern das gehört auch in den Kontext der Weimarer Republik, wo sich der Diskurs sehr stark verändert und die Medienkommunikation sehr viel wichtiger wird. Er hat wirklich versucht , sein Denken Nachrichten-kompatibel zu machen. Also für Zeitungen zu schreiben, im Rundfunk zu sprechen und so weiter.
MACHT IHN AUCH EINE GEWISSE ALLTAGSKOMPATIBILITÄT FASZINIEREND? UND WOHER KOMMT DIE?
Benjamin hat die Fähigkeit, so zu schreiben, dass es auf den ersten Blick vollständig überzeugend ist und trotzdem einen zweiten und dritten Blick erlaubt. Wenn man genauer hinschaut, dann werden die Texte sehr bedeutungsreich, sehr tief, voller Anspielungen.
Dieses Ineinander von unmittelbar evident und diesem Bedeutungsreichtum , das ist das Faszinierende daran.
WAS HAT WALTER BENJAMIN AN INTERIEURS INTERESSIERT? WOHNEN WAR EIN THEMA FÜR IHN.
Ja, es gibt im Passagenwerk, also der posthum überhaupt erst publizierten Notizensammlung, ein Konvolut über das Interieur und darin wird notiert, dass Wohnen einerseits gleichzeitig sowas wie eine anthropologische Universalie ist, wir alle wohnen und dass andererseits aber unsere spezifische Art von Wohnen mit Wohnzimmern und Privaträumen etwas ist, was im 19.Jahrhundert überhaupt erst entdeckt wird.
Diese Doppelheit von uralt und relativ jüngst vergangen , das ist das, was Benjamin daran fasziniert.
Das Etui von Gegenständen, was auch wieder sehr typisch ist für das bürgerliche Wohnen, wo es diese ganzen Deckchen und Abdeckungen und Hussen für die Stühle gibt, das ist für Benjamin auch ein Bild für das Wohnen überhaupt. Das sich über die Moderne wundernde Subjekt, das sich einhüllt in immer mehr Dinge und Gegenstände und sich halt eben umstellt mit Bedeutung sozusagen. Um sein eigenes, immer abstrakter und bedeutungsloser werdendes Leben auszuhalten gewissermassen.
SIND DA HEUTE PARALLELEN ZU SEHEN. STÄNDIG KOMMEN LIEFERANTEN UND BEFÜLLEN DIE GEHÄUSE
Das Interieur ist für Benjamin auch deshalb interessant, weil es eine Paradoxie des Privaten ganz deutlich macht.
Das muss man sich klar machen, dass erstmals in der Menschheitsgeschichte individueller Besitz in Serie gefertigt wird.
Also was später Konsumgüterindustrie heisst, das manifestiert sich ja zuerst in den Möbeln.
Dass jetzt jeder Einzelne versucht, dieses individuelle Umfeld neu zu kreieren, und zwar mit Ware, die von der Stange kommt, das ist natürlich eigentlich eine Paradoxie und da liegt vielleicht schon eine Parallele zu heute, die eben auch dazu führt, dass man immer mehr von diesen Produkten braucht, die Einzigartigkeit versprechen, aber natürlich eigentlich nicht halten können.
DAS UMSTELLEN MIT DEN AUSTAUSCHBAREN WAREN BEDEUTET DOCH EIGENTLICH ENTFEMDUNG.
Dahinter stehen auch andere Überlegungen, die kommen von Georg Simmel, wie eigentlich sich das Individuum zu seinem Besitz verhält.
Ob es das als Extension von sich selbst versteht , oder nur als praktisches Zeug.
Es gibt ein Versprechen dieser Kunstgewerbe-Gegenstände. Stühle , die aussehen, als seien sie aus dem Barock , all diese besonderen Gegenstände tun ja immer so, als ob das Individuum eine ganz individuelle Sammlung hätte.
Heute würde man sagen, seinen Style.
Aber das ist natürlich von vornherein so konzipiert, dass immer mehr nach und dazu gekauft werden muss.
Was glaub ich heute wirklich anders ist, dass nicht nur die Gegenstände so geformt sind, sondern auch die ganze Wahrnehmung, die man von der Welt hat. Da ist es natürlich eigen, wenn man sich in den privaten Bereich zurück zieht, aber gleichzeitig 24/7 mit der ganzen Welt über Plattformen verbunden ist.
LASSEN WIR UNS STÄNDIG NEUE WAREN KOMMEN, WEIL WIR SIE DRAUSSEN NICHT MEHR BESORGEN KÖNNEN?
Das ist das Letzte was noch bleibt, das Draußen nach drinnen zu holen.
Zumal ja sogar auf den medialen Kanälen , jedenfalls was die Öffentlichkeit angeht wenig passiert, die Nachrichten sind immer dieselben , also muss irgendwas passieren, also da man sowieso am Rechner sitzt, wird irgendwas gekauft.
Also wenn man dann diese Wohnsucht-Metapher ernst nimmt, ist das natürlich auch das permanente Scheitern daran.
Weil die Wohnsucht das Wohnen ja gleichzeitig unbedingt will , aber auch verhindert, dass sie irgendwo zur Ruhe kommt.
WIR SIND HEUTE JA ZIEMLICH NOMADISCH UNTERWEGS, IN HOTELS, AUF REISEN. EMPFINDEN WIR HEUTE ÜBERHAUPT NOCH DIESES ZUHAUSE ALS ZUHAUSE WIE DIE GROSSBÜRGER DES AUSGEHENDEN 19.JAHRHUNDERTS?
Man kann sagen
Was jetzt eigentlich passiert, ist, dass dieses Nomadendasein jetzt nach innen gestülpt wird.
Man bewegt sich nicht mehr blitzschnell von Ort zu Ort , sondern versucht dann eben immer mehr in dieses Innen zu stellen.
Im 19.Jahrhundert ist das Problem ein bisschen ein anderes. Da geht es darum, dass dieser Innenraum erst mal ganz neu ist. Sowas wie Privatheit für große Mengen, von der privilegierten Oberschicht abgesehen, das gab es ja vorher gar nicht.
Wir sollten uns eigentlich an Privatheit gewöhnt haben, nur wird sie jetzt mit Aufgaben überlastet, für die sie dann auch nie gedacht war, dass dann nämlich jetzt alles stattfinden soll, auch die Arbeit.
Was bleibt eigentlich von der Privatheit, wenn das Home Office nur auf der anderen Seite des Esstisches ist.
SEHEN SIE DA EINE PARALLELE ZU HEUTE, WO WIR UNS WÄHREND DES LOCKDOWNS AUCH IN SOLCHE GEHÄUSE ZURÜCKZIEHEN MÜSSEN, ZWANGSLÄUFIG?
Das ist schwierig, weil unsere Gehäuse heute ja ganz porös geworden sind. Also diese ganzen Oberflächen haben, wo ständig irgendwelche Nachrichten aus aller Welt in uns einströmen.
Das Wohnzimmer des 19.Jahrhunderts ist ja wirklich als Grotte, Höhle, als Rückzugsraum gedacht , in das nichts mehr von außen dringt.
Schwere Vorhänge , dicke Drapierungen und so weiter, das ist doch glaube ich nicht das Wohnen von heute .
Also gerade dieser Strom von Information und Abstraktion, der heute durch alles Wohnen läuft , war zu Benjamins Zeit und natürlich erst recht im 19.Jahrhundert, über das er spricht , kaum vorstellbar
IST WOHNSÜCHTIG EINE SCHÖPFUNG VON WALTER BENJAMIN?
Gute Frage, das kann ich so schnell nicht beantworten, aber ich kann mir das sehr gut vorstellen.
Benjamin ist sehr groß darin, das gehört auch zu seiner Faszination, Metaphern zu kreieren, die dann unglaublich viel in sich bergen und die Wohnsucht ist ja tatsächlich , dass man nicht einfach irgendwo zuhause ist, sondern frenetisch unterwegs ist, dieses Zuhause zu seinem Heim zu machen.
Ein Prozess, wo man denken würde, das ist ja schon selbstverständlich, aber diese Selbstverständlichkeit erst einzuholen, das ist eigentlich charakteristisch .
IM BEGRIFF WOHNSÜCHTIG STECKT DIE SUCHT. DAS HAT ETWAS OBSESSIVES, ETWAS IN EXTENSO ÜBERTRIEBENES AUCH. HAT DAS AUCH MIT BENJAMINS SUCHTERFAHRUNGEN ZU TUN?
Ein Paradigma, was bei Benjamin woanders wichtig ist, Spielsucht , immer neu, immer nochmal probieren , sozusagen just a click away , immer neu etwas hinzufügen, das ist eben genau dieser Moment , Natur herzustellen, diesen Rückzugsraum , aber immer neu etwas hinzufügen .
Das ist ja genau Suchtstruktur. Immer wieder etwas tun zu müssen, selbst wenn man weiß, dass das gar nicht so gut ist.
STICHWORT WARE – IN WALTER BENJAMINS WERK IST DAMIT AUCH STETS EINE KAPITALISMUS KRITIK VERBUNDEN?
Sagen wir so, er wollte das gerne auf die Marxsche Theorie beziehen. Aber die eigentlichen Denkvoraussetzungen sind schon älter.
Das ist eine fast schon animistische Konzeption, das sind lauter Dinge, die uns spiegeln sollen, also immer auch Ausdruck des Individuums und die Sucht besteht dadrin, nicht einfach ein Gegenstand, einen Lieblingstisch da stehen zu haben, sondern immer neue haben zu wollen, immer neu, immer neu, immer mehr.
Das ist das Suchtmoment daran und das spielt natürlich dem Kapitalismus in die Hände. Insofern ist das dann auch kompatibel mit der kapitalistischen Theorie.
WIR SEHEN, WENN WIR EINGESCHLOSSEN SIND IN UNSERE WOHUNG AUCH DIE MÄNGEL . HOLEN UNS WIR UNS AUCH DESWEGEN IMMER MEHR HINZU?
Vielleicht ist das auch so, dass man sich mit diesen Mängeln anfreunden kann.
WAR WALTER BENJAMIN SEINER ZEIT VORAUS, DASS WIR HEUTE ÜBER IHN IM KONTEXT DES LOCKDOWNS SPRECHEN KÖNNEN?
Es gibt bei den Denkern der Weimarer Zeit vieles, was wir seit der Jahrtausendwende merken, was sehr aktuell ist. Diese neue Medienwirklichkeit. Man hat sich an neue Medien gewöhnt, aber was mit social media und Internet passiert, das ist ja wieder eine Medienrevolution, da hilft dann die letzte Medienrevolution, als auch die politischen Verhältnisse, Stichwort Ausnahmezustand.
Die Strategie des Passagenwerks ist ja ein bisschen in die Vergangenheit zuschauen, um die Gegenwart zu erkennen. Das ist ein guter Modus, um überhaupt etwas zu sehen und nicht immer auf die Aktualität zu starrren. Und das ist wiederum hilfreich, sich Benjamin, der ja jetzt auch wider ein bisschen in der Vergangenheit ist, und seine Texte genauer anzusehen.
WALTER BENJAMIN BESCHREIBT DAS GROSSBÜGERLICHE WOHEN. DANN BEGEGNETE ER BERTOLT BRECHT, DER DAS BAUHAUS RÜHMTE. SIND WIR HEUTE WIEDER NÄHER AM WOHNEN IM WILHELMISMUS ALS AM BAUHAUS MIT UNSEREN ÜBERLADENEN WOHNUNGEN?
Das ist ein typisches Schema, dass Menschen erwarten, dass das was sie gerade erleben vergehen wird und die Zukunft viel besser sein wird.
Benjamin ist kein Optimist.
Der Blick richtet sich zwar auf die Vergangenheit und auf Verhältnisse, die zwar kritisiert werden, aber für die es auch keinen wirklichen Ersatz gibt.
Vielleicht ist das auch eine Sache, die die Gegenwart auszeichnet, dass wir wirklich einen Utopieverlust haben, man weiß nicht, was noch Großes kommt und arrangiert sich damit wie es nun ist und versucht es irgendwie anders zu sehen.
WIE ALSO WÜRDEN SIE WOHNSÜCHTIG BESCHREIBEN?
Wohnsüchtig ist, wenn man es sich um jeden Preis heimelig machen will, auch wenn man dabei so vorgeht, dass man die Heimeligkeit zerstört.
WIE SIEHT ES AUS MIT DER WOHNSUCHT BEI IHNEN?
Ich kauf Bücher, die nehmen nicht viel Platz weg.
Das sage ich, meine Frau sieht das ein bisschen anders. Aber Bücher kann man immerhin noch lesen.
Die Frage ist ja auch, wie kuriert man seine eigenen Süchte?
Es gibt ja von Blaise Pascal das schöne Zitat, dass das ganze Unglück des Menschen daher rühre, dass er nicht still allein in seinem Zimmer sitzen kann. Was könnte heute relevanter sein als diese Überlegung. Man muss es lernen , still zu sitzen.