ALLEIN – von Daniel Schreiber
DANIEL SCHREIBER im Interview zu seinem neuen Buch ALLEIN, erschienen im Verlag HanserBerlin , geführt im September 2021 in Berlin
MUSS MAN SICH ALS SINGLE DAS ALLEINSEIN SCHÖNREDEN?
Als Single muss man sich nichts schön reden. Man sollte sich ganz allgemein nichts schön reden müssen.
Das Alleinleben hat natürlich einen schlechten Ruf. Weil. Wir mit diesen ganzen großen, romantischen Fiktionen groß werden. Weil uns die Erzählungen von Zweisamkeit und Liebe überall begegnen.
In Deutschland gibt es über 17 Millionen Single Hauhalte. Diese Zahl ist seit Anfang der 90iger Jahre um 40 % gestiegen. Das heisst es gibt immer mehr Menschen, die allein leben und trotzdem haben wir keine Erzählungen, keine kulturelle Erzählung für diese Menschen.
WESHALB HAST DU DAS BUCH „ALLEIN“ GESCHRIEBEN?
Ich hab das Buch unter anderem deswegen geschrieben, um auszuloten wie so eine Erzählung aussehen kann, um auszuloten, ob man, wenn man allein lebt, ein gutes, ein erfülltes Leben leben kann. Unsere Gesellschaft definiert allein lebende Menschen als gescheiterte Menschen.
Ich habe ALLEIN geschrieben, weil ich mich selbst fragen wollte, ob ich ein gutes und erfülltes Leben führen kann, auch ohne eine romantische Beziehung, oder eine Liebesbeziehung.
Meine Bücher gehen immer von meinem eigenen Leben aus, von dem was ich erlebe und gehen dann auf philosophische Fragen, auf soziologische Forschung, auf psychoanalytische Ideen zurück, um die richtigen Fragen zu stellen, um für mich selbst herauszufinden welche Fragen ich stellen kann und was ich bisher nicht bedacht habe.
Im Grunde geht es letztlich aber gar nicht um mich in den Büchern. Das hört sich vielleicht ein bißchen paradox an. Es geht mir darum, einen Erlebnisraum, eine Erfahrbarkeit mit den Büchern zu schaffen.
Es geht mir darum, dass Menschen sich selbst genau diese Fragen stellen, sich selbst fragen, ist mein Leben gut genug? Bin ich zufrieden in meinem Leben? Ist das Alleinleben eine mögliche Lebensform für mich? Was bedeuten Freundschaften für mich? Wie gehe ich allgemein mit dieser Unsicherheit um, mit der wir heute mehr denn je konfrontiert werden und die einfach ein Umstand unserer Realität geworden ist. Wie gehe ich mit unlösbaren Problemen um?
Das sind alles Fragen, die ich versuche zu stellen und zu beantworten. Aber nicht auf eine Weise, die apodiktisch sagt, so ist es und so nicht, sondern auf eine Weise, die die Lesenden dazu anleitet, sich selbst diese Fragen zu stellen, selbst etwas zu erfahren in diesen Büchern.
DEIN BUCH TRÄGT DEN TITEL „ALLEIN“, WARUM NICHT „EINSAM“?
In dem Buch gibt es ein Kapitel, was sich sehr genau mit der Psychologe und der Philosophie von Einsamkeit auseinandersetzt. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden diese Worte allein und einsam, oder allein leben und Einsamkeit oft synonym gebraucht. Das sind sie natürlich nicht. Wenn man allein lebt, muss man nicht zwangsläufig einsam sein.
Diese ganze Idee der Einsamkeits-Epedemie geht davon aus, dass in Deutschland diese 17 Millionen Menschen, die alleinstehend sind und allein leben auch einsam sind.
Das geht davon aus, dass wenn man keine romantische Beziehung hat, wenn man nicht zu zweit, oder in einer Partnerschaft, oder in einer familiären Konstellation lebt, dass man dann automatisch einsam ist.
Diese Idee geht davon aus, dass die ganzen anderen Beziehungen, die wir leben, Freundschaften, Beziehungen zu Kollegen, Beziehungen zu Bekannten, zu Menschen, die man vielleicht gar nicht so gut kennt, dass die alle nichtig gemacht werden.
Dass heisst, dass wir die ganzen Freundschaften, die wir in unserem Leben führen, seien es eng, oder weitergefasste Beziehungen zu unseren Freundinnen und Freunden, dass denen vollkommen jede Qualität von Nähe abgesprochen wird.
Ich glaube, dass auch, wenn man allein lebt, dass man in seinem Leben Nähe und Intimität erfahren kann. Ich glaube, dass man nicht einsam sein muss, wenn man allein lebt.
Was aber nicht heisst, dass es natürlich unter bestimmten Bedingungen öfter geschehen kann, dass man sich einsam fühlt, wenn man allein lebt.
Für mich ist das in bestimmten Phasen der Pandemie passiert, dass es vor allem in den Lockdowenphasen immer wieder zu extremen Phasen der Einsamkeit kam.
In dem Buch gibt es ein Kapitel über diese konkreten Ideen von Einsamkeit, diese psychologischen und philosophischen Ideen.
Es ist glaub ich wichtig, dass wir Einsamkeit tatsächlich in dieser Form fassen, dass man solche Kurzschlüsse wie wenn man allein lebt, ist man einsam, unterlässt.
HAST DU DAS BUCH NICHT NUR WÄHREND, SONDERN AUCH WEGEN DES LOCKDOWNS GESCHRIEBEN?
Ich habe ungefähr 5 Jahre an diesem Buch gearbeitet. Es sollte zu Anfang ein Buch über Freundschaften werden. Über die Freundinnen und Freunde in meinem Leben.
Große Teile des Buches beschäftigen sich auch mit der Philosophie von Freundschaft, mit den Bedeutungen, mit der wirklich großen Bedeutung von Freundschaften für unser Leben.
Aber von Anfang an hab ich gemerkt, dass eine zentrale Frage, die mich motivierte, dieses Buch zu schreiben, sich um den Umstand drehte, dass ich allein lebe, dass ich keine romantische Beziehung habe.
Während der Lockdownphasen und während des social distancing der Pandemie ist diese Frage weiter in den Vordergrund getreten.
Für mich und für viele allein lebenden Menschen war die Pandemie von wirklich großer Einsamkeit geprägt.
Ich glaube, auch von einer Einsamkeit, die Menschen in Paarbeziehungen, die Menschen in familiären Konstellationen nicht nachvollziehen können.
Man war wirklich allein und nicht nur physisch, sondern in dieser Extremsituation kam es natürlich dazu, dass die Menschen sich auf ihr eigenes Leben fokussiert haben, dass sie sich auf ihre eigenen Probleme besonnen haben, dass es unter diesem Druck der Ereignisse wenig Raum für andere Menschen gab.
Ich habe das unter anderem so erlebt, dass auch meine wirklich engsten Freundinnen und Freunde, die ich seit vielen Jahren kenne und die ich sehr liebe und von denen ich weiß, dass sie auch mich sehr lieben, dass diese Menschen es natürlich versucht haben, quasi da zu sein in der einen oder andern Hinsicht, aber dazu gar nicht in der Lage waren. Einfach weil sie mit ihren eigenen Problemen beschäftigt waren, einfach weil sie mit dieser extremen Ausnahmesituation, mit der wir alle konfrontiert waren, leben mussten. Weil sie es schaffen mussten, damit zurecht zu kommen.
EINE CORONA-MASSNAHME TRAF ALLEINSTEHENDE BESONDERS HART: ALS ES NICHT DARUM GING WIEVIEL MENSCHEN SICH TREFFEN DURFTEN, SONDERN WIEVIEL HAUSHALTE. DAS ZEIGTE, DASS HIER IMMER VON FAMILIEN, ZUMINDEST PAAREN AUS GEDACHT WURDE UND NICHT VOM SINGLE.
Ein Aspekt des Alleinlebens ist natürlich auch ein politischer.
Wir leben in einer Gesellschaft, die ganz konkret auf das Leben von Familien zugeschnitten ist, meistens ganz konkret auf das Leben einer Kernfamilie die generell als heterosexuell verstanden wird, die generell einen bestimmten Umfang hat, oder haben soll. Alles andere scheint nicht so sehr zu zählen. Das klingt vielleicht ein bisschen überzogen auf den ersten Blick, aber wenn man sich die politischen Entscheidungen genauer anschaut, die damit einher gehen, z.B. steuerliche Entscheidungen, z.B. Entscheidungen, die während der Pandemie getroffen wurden und wo es darum ging, wieviel Haushalte wieviel andere Haushalte treffen dürfen, usw, all diese Entscheidungen sind automatisch auf Ideen von Familie und Partnerschaft fokussiert.
HAST DU DAS BUCH ALS ESSAY ANGELEGT, ODER AUCH ALS EMPFEHLUNG AN DIE POLITIK, UMZUDENKEN?
Das Buch ist ein Essay. Für mich ist das eine sehr wichtige literarische Form, eine sehr bedeutsame literarische Form. Ich habe mit den Büchern NÜCHTERN und ZUHAUSE für mich diese Form ausgelotet und dabei entdeckt, dass ich Dinge mit dieser Form des literarischen Erzählens erzählen kann, die ich sonst nicht erzählen kann.
D.h. es ist kein Sachbuch in dem Sinne, dass ich professoral sage, das ist Einsamkeit, das ist Alleinsein, das und das und das müssen Sie machen, um nicht mehr allein zu leben, oder um glücklich zu sein, obwohl Sie alleine leben.
Es ist auch kein Buch, das ein Ratgeber sein soll.
Es ist keine Anleitung dazu, wie man einen Partner oder eine Partnerin findet. Es ist keine Anleitung dazu, sich mit seinem Schicksal abzufinden, dem Schicksal des Alleinlebens.
Es ist ein Buch, das einen Erfahrungsraum öffnet.
Es ist ein Buch, das vor allem dafür da ist, die richtigen Fragen zu stellen. Fragen, die uns umtreiben, Fragen, die Gespräche einleiten, die wir einfach nicht führen in unserer Gesellschaft.
Weil wir bestimmte Ideen über Zweisamkeit, über Romantik haben.
Das Buch streift auch sehr viele andere Themen. Es denkt über Freundlichkeit nach, es denkt über den Wert und die Grenzen von Freundschaften nach. Es ist ein Buch, das über das Wandern nachdenkt. Über viele Sachen, die wir machen können, um unser Leben lebbarer zu machen, um einen Weg in unserem Leben zu finden.
Es gibt ein Kapitel, in dem das Yoga eine sehr zentrale Rolle spielt. Es gibt Überlegungen zum Stricken. Was für mich eine sehr komplexe und wichtige Tätigkeit geworden ist, vor allem in der Pandemie.
Ganz zentral ist es ein Buch, das über die kommende Katastrophe nachdenkt, für die diese Pandemie, die wir durchlebt haben, vielleicht der erste Ausblick war.
Es ist ein Buch, das darüber nachdenkt wie wir mit der Unsicherheit leben können, mit der wir heute tagtäglich konfrontiert sind und mit der wir in Zukunft noch viel häufiger konfrontiert werden.
DAS LITERATURVERZEICHNIS DES BUCHES IST SEITENLANG. DADURCH BEKOMMT DAS BUCH AUCH ETWAS VON EINER WISSENSCHAFTLICHEN ARBEIT. WOLLTEST DU DAMIT PROMOVIEREN?
Etwas was ich mit meinen Büchern mache, ist es, Themen grundlegend zu erforschen, in all ihren Facetten. Wenn ich also über ein Thema nachdenke, mache ich das, was ich gelernt habe während des Studiums, ich recherchiere, ich lese nach, ich setze mich mit wichtigen Konzepten verschiedener Geisteswissenschaften auseinander. Ich habe erst das Gefühl, über ein Thema wirklich etwas sagen zu können, wenn ich recherchiert habe, wenn ich viele Sachen darüber gelesen habe.
Es gibt im Laufe der Geschichte sehr viele Menschen, die über Freundschaft nachgedacht haben, über Einsamkeit und das Alleinsein, auch darüber wie wir mit Unsicherheiten umgehen. Ich persönlich fände es sehr vermessen, so zu tun, als gäbe es diese ganzen Bücher nicht, die schon geschrieben wurden, als gäbe es diese sehr klugen Leute nicht, die sich diese Gedanken gemacht haben.
Für mein eigenes Schreiben sehe ich gar keine andere Möglichkeit. Ich glaube, ich würde mich gar nicht trauen, etwas zu schreiben, oder ich würde gar nicht glauben, dass ich zu einem Thema etwas zu sagen habe, wenn ich mich nicht auch damit auseinandergesetzt hätte, was viele Menschen in der Geschichte zu diesem Thema gesagt haben.
DU STELLST DICH DAMIT AUCH IN EINE REIHE WUNDERBAR KLUGER KÖPFE VON MICHEL DE MONTAIGNE BIS DIDIER ERIBON.
Hast Du das so empfunden?
KLAR. DU HAST DEINE „SUSAN SONTAG BIOGRAFIE“ JA AUCH GESCHRIEBEN, NICHT WEIL SIE EINE POPIKONE IST, SONDERN WEIL SIE EINE DENKERIN IST.
Ja!
BIST DU EIN DENKER?
Ich würde mich als Autor beschreiben.
DAS KÖNNTE ICH AUCH SAGEN!
Ich würde sagen, ich bin ein Autor! Für mich kann das natürlich vieles bedeuten. Man könnte auch sagen, ich bin Essayist, das ist auch etwas, womit ich mich identifiziere. Es gibt natürlich eine Tradition des Essays, die sehr lange zurück reicht. Einige der Personen sind in dem Buch auch erwähnt. Es sind Michel de Montaigne, aber in der jüngeren Geschichte sind es z.B. Menschen wie Joan Didion, die ich persönlich sehr verehre. Wenn ich einen Traum in meinem Leben habe, dann würde ich ganz ehrlich antworten müssen, dass ich vielleicht irgendwann so etwa Wichtiges und Gutes schreiben könnte wie Joan Didion. Dass ich vielleicht irgendwann so eine Fähigkeit des Schreibens entwickle wie sie. Wenn es ein Vorbild für mich gibt, dann tatsächlich Joan Didion.
BESCHREIBE DOCH MAL BITTE DEIN ALLTÄGLICHES LEBEN ALS SINGLE. WIE LEBST DU? ALS MANN, DER ALLEINE LEBT, ABER GERNE EINEN PARTNER HÄTTE?
Ich glaube, ich lebe ein sehr gewöhnliches Leben, das viele Menschen führen und das gar nicht besonders ist. Ich habe viele Freundinnen und Freunde, die ich oft sehe. Ich arbeite sehr viel, ich muss sehr viel arbeiten, aus ökonomischen Gründen und aus Gründen des Interesses.
Ich habe aber auch Hobbys. Obwohl das Wort Hobby so klingt, als möchte man damit gar nichts zu tun haben, glaube ich, dass diese Tätigkeiten, die eigentlich keinen Zweck haben im Leben, die keinen monetären Wert haben, die kein Ziel verfolgen, dass diese Tätigkeiten sehr wichtig für uns sind. Weil sie uns das Gefühl von Zeit geben, das Gefühl, am Leben zu sein, das Gefühl unser Leben auch wirklich zu leben.
Ich mache sehr viele solche Sachen. Für mich ist das Yoga, ich stricke, ich male, ich lese sehr viel, ich lese sehr viel auf Englisch und auf Französisch. Ich habe ein Abo für die Philharmonie und für die Staatsoper, ich gehe oft ins Kino. Ich glaube, das ist ein sehr gewöhnliches Leben und ein Leben, das ich sehr schön finde.
Ich glaube, dass sehr viele Menschen, die allein leben, Leben führen , die sehr schön sind.
NOCH EIN WORT ZUM STRICKEN, AUF DAS DU IN DEINEM BUCH AUCH EINGEHST. WESHALB STRICKEN? WAR PLÖTZLICH KEINER MEHR DA, ODER WAREN ZUVIELE DA UND DU BRAUCHTEST NOCH EINE BESCHÄFTIGUNG FÜR NEBENHER?
Ein Teil meines Lebens, mit dem ich leben musste, waren Depressionen. Ich habe natürlich sehr viel Hilfe in Anspruch genommen, therapeutische und medizinische, aber ich musste für mich einen Weg finden, das in mein Leben zu integrieren, damit zurecht zu kommen. Irgendwann habe ich angefangen, wenns mir nicht gut ging, Tätigkeiten zu suchen, die irgendwie Sinn ergeben.
Ich hab angefangen zu malen. Ich hab einen Sommer im Botanischen Garten verbracht, wo ich gelernt habe, wie man Sonnenblumen und Dahlien malt.
Ich habe den Garten einer Freundin angelegt. Ich liebe Gärten. Und ich habe angefangen, Dinge zu tun wie häkeln oder stricken, um abends beim Serien gucken etwas zu tun zu haben und mich nicht ganz so schlecht zu fühlen, wenn ich diese teilweise sehr banalen, lustigen Serien gucke, die wirklich nicht sehr anspruchsvoll sind, die mich aber irgendwie entspannen. Wenn ich dabei stricke, fühle ich mich nicht ganz so schlecht dabei.
Das Stricken ist eine erstaunlich komplexe Tätigkeit. Ich finde es faszinierend, dass das immer so belächelt wird. Es gibt einen gigantischen historischen Schatz an Techniken und Mustern, die sich kulturell und geografisch unterscheiden. Es gibt so ein gigantisches Wissen, einen großen Erfahrungsschatz vorheriger Generationen, mit denen wir in Kontakt treten können, wenn wir so etwas tun wie stricken. Beim Kochen hab ich ein ähnliches Gefühl. Ich koche sehr gerne und obsessiv. Ich habe über 150 Kochbücher, weil mir das so wichtig ist in meinem Leben. Da ist es ähnlich, wenn man diese Tätigkeit macht wie das Stricken und Kochen, dann tritt man in Kommunikation mit diesem Geschenk dieser Welt, diesem Geschenk, das das Leben für uns bereit hält, mit diesen kollektiven Erfahrungen von so vielen Generationen vor uns, die jeweils auf ihre Art und Weise dieses Geschenk der Welt wahrgenommen haben.
VIELEN DANK FÜR DAS GESPRÄCH DANIEL UND VIEL ERFOLG MIT DEINEM NEUEN BUCH, DAS ICH SEHR GERNE GELESEN HABE.